Geschichte der Privaten Realschule Schloss Wittgenstein
Als vor 50 Jahren die Realschule Schloss Wittgenstein gegründet wurde, war die Not der Kriegs- und Nachkriegsjahre noch überall zu spüren. Doch nahm der Wohlstand langsam zu. In allen Bereichen des öffentlichen Lebens ging es um Wiederaufbau und Neubeginn.
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Auch die Schulen befanden sich in einer schwierigen und trotzdem hoffnungsvollen Lage. Noch fehlten Lehrer und Lehrmittel. Schichtunterricht und Unterrichtsausfall waren an der Tagesordnung. Neue Konzepte mussten erarbeitet werden.
Mit dem Neubeginn kamen die Privatschulen als wesentlicher Bestandteil einer freiheitlichen Ordnung und verfassungsmäßig verankert. Mit viel Mut und unternehmerischen Geschick gründete Josef Kämmerling als Mann der Wirtschaft die Realschule Schloss Wittgenstein und das ihr zugehörende Internat.
1954 begann mit zunächst nur 5 Klassen der Unterricht. Äußerlich deutete nur wenig darauf hin, dass rund um das alte Schloss eine eigene kleine pädagogische Welt entstand. Richtige Schulgebäude gab es noch nicht. Der Unterricht fand im Schloss und in Nebengebäuden statt. In einem Seitenflügel wohnte noch immer die fürstliche Familie.
Von weither und aus verschiedenen Schulen waren 120 Jungen zusammen gekommen. Mädchen wurden zunächst nicht zugelassen. Auch das Lehrerkollegium musste sich erst finden und mit seiner Aufgabe vertraut machen. Schule und Internat sollten bei Erziehung und Unterricht eine Einheit bilden. Leiter für beide war Herr Edmund Ballhaus.
Der Unterricht wurde nach den damaligen Richtlinien für Realschulen in NRW erteilt. Neben Englisch als 1. Fremdsprache gab es bis Ostern 1961 in den Klassen 7 Latein als Wahlpflichtfach. Alternative war ein Zusatzkurs in Deutsch, Englisch oder Mathematik. Sozialkunde und Politik standen noch nicht auf dem Programm.
Das Schuljahr 1955/56 war von besonderer Bedeutung. Die Schule hatte nun 6 aufsteigende Klassen und galt als „einzügige Vollanstalt“. Die Raumnot wurde mit der Fertigstellung eines neuen Schulgebäudes gelindert. Es hatte 7 Klassenzimmer, einen Fachraum für Physik und Chemie, ein Lehrerzimmer und die üblichen Nebenräume. Mit dem Ende des 1. Halbjahres schied Herr Ballhaus aus. Sein Nachfolger für Schule und Internat war ab dem 1. September 1955 Herr Günther Hoheisel.
Weil die Schule zunächst nur vorläufig genehmigt worden war, stand ihr noch eine besondere Bewährung bevor. Die Schüler der 1. Abschlussklasse mussten sich am 15. und 16. März 1956 einer „Fremdenprüfung“ unterziehen. Sie bestand aus einem schriftlichenund einem mündlichen Teil. Zur Prüfungskommission gehörten überwiegend Lehrkräfte der Realschule Bochum-Langendreer und der Leiter der Realschulabteilung im Kultusministerium. Es wurde ein Erfolg: am 18.April 1956 erhielt die Private Realschule Schloss Wittgenstein ihre endgültige staatliche Anerkennung. Danach ging der Ausbau zügig voran. 1957 entstanden weitere Unterrichtsräume und ein Physik- und Chemiesaal mit den zugehörigen Sammlungen.
Über den Klassenzimmern lagen Schlafstuben für die Jüngeren, Wohnungen für Erzieher und Lehrer, und der Sportplatz bei der Schule wurde hergerichtet. Die Zahl der Schüler hatte sich verdoppelt. Dem Internat stand nun das ganze Schlossgebäude zur Verfügung. 1961/62 entstand die Untere Turnhalle. In ihr wurden Fachräume für Musik, Zeichnen und Werken eingerichtet. Während des Baus fand der Sportunterricht auf der „Koppel“, dem Waldsportplatz, statt.
Aus den so genannten „Kulturtagen“ entwickelte sich zwischen 1959 und 1963 die „Schlossfestspiele“ mit sportlichen Wettbewerben und kulturellen Schwerpunkten. Stegreifspiele, Theater, klassisches Schauspiel, Chor neben Lese- und Rezitationsübungen rundeten das Programm ab. In der Kapelle des Schlosses wurden die Ergebnisse des Kunstunterrichts ausgestellt. Bei der Siegerehrung vor den Sommerferien gab es stattliche Preise.
Bis zum 10jährigen Bestehen der Schule 1964 hatten 427 Schüler „auf dem Schloss“ ihr Abschlusszeugnis gemacht. 1965 und 1966 wurde mit den „Kurzschuljahren“ ein neuer Zeitplan eingeführt. Das Schuljahr endete nun nicht mehr vor Ostern, sondern in Sommer. Neu war auch die „Koedukation“: es wurden Mädchen aufgenommen.
1973/74, also 20 Jahre nach der Gründung der Privaten Realschule Schloss Wittgenstein, hatten 636 Schüler und Schülerinnen ihren Abschluss gemacht.
Mit Beginn des 3. Jahrzehntes öffnete sich die Schule Jungen und Mädchen aus dem Großraum Bad Laasphe. Die Schülerzahlen stiegen, ein Busverkehr wurde eingerichtet. Es kam die 5-Tage-Woche. Das brachte zunächst Raumnot. Erweiterungsbauten schafften Abhilfe. Die Realschule wurde doppelzügig.
Ende des Schuljahres 1980/81 trat Direktor Günther Hoheisel in den Ruhestand. Herr Friedrich Wilhelm Becker trat seine Nachfolge an. Realschule und Internat standen unter getrennter Leitung.
Innerhalb der ersten 30 Jahre hatten 866 Schüler und 88 Schülerinnen ihren Realschulabschluss erreicht. Dabei sollte es nicht bleiben: zunächst langsam, dann immer schneller stiegen die Schülerzahlen und die der erfolgreichen Abgänger. Mehr Lehrer wurden gebraucht. Für viele war der Dienst an der Realschule Schloss Wittgenstein zumindest vorübergehend eine Alternative zur Bewerbung für den staatlichen Schuldienst.
Mehr Schüler bedeuteten aber auch mehr Ansprüche an die räumlichen Verhältnisse. Den ersten Schritt tat der Schulträger 1987 mit der Einrichtung einer eigenen Lehrküche. Sie befindet sich oberhalb des heutigen Internatsbereiches und bietet an 3 „Kojen“ Arbeitsplätze für bis zu 9 Schüler und Schülerinnen.
1989 wurde mit dem Bau einer zweiten großen Turnhalle auf dem Dach des bestehenden Sportgebäudes begonnen. Ein Tennisplatz musste weichen. Dafür verfügen die beiden Schwesterschulen, die Realschule Schloss Wittgenstein und das Gymnasium Schloss Wittgenstein, heute über eine großzügige und teilbare Dreifachturnhalle. 1990 erhielt der Fachbereich Naturwissenschaften einen neuen Physikraum.
2 Jahre darauf wurde der Fachbereich Kunst/Werken geteilt. Es entstanden der bildnerisch arbeitende Fachbereich Kunsterziehung und die Abteilung Technik. Die Kunsterziehung bezog neu geschaffene großzügige Flächen in der Oberen Turnhalle. Die Technik blieb in den alten, aber umgestalteten musischen Fachräumen und wurde im Laufe der folgenden Jahre mit neuen professionellen Geräten und Maschinen ausgestattet. Der Fachbereich ist in der Lage, selbständig auch an längerfristigen Projekten zu arbeiten und trug einen wesentlichen Teil zum Bau, Unterhalt und Erhalt verschiedener Infrastruktureinrichtungen für Schulfeste und Veranstaltungen des laufenden Schulbetriebes bei.
Mit Beginn des Schuljahres 1996/97 wurde der Fächerkanon um ein völlig neues Lernangebot erweitert. „Reiten und Pferdepflege“ wird als Wahlpflicht-AG auch im Zeugnis berücksichtigt. Bis heute ist die Realschule Schloss Wittgenstein landesweit die einzige Bildungseinrichtung, die dieses Fach im Lehrprogramm hat.
Ende der 90er Jahre luden die beiden Schwesterschulen und das Internat zum ersten Weihnachtlichen Schlossmarkt vor der historischen Kulisse des alten Schlossgebäudes. Er hat sich zu einer der stimmungsvollsten Vorweihnachtsveranstaltungen in Wittgenstein entwickelt. Ob „Wittgensteiner Waldgeist“ als völlig neue geistreich-wärmende Spezialität des Fachbereichs Hauswirtschaft, Handwerklichem aus dem Unterricht oder jahreszeitlicher Gastronomie; bis heute strömen in jedem Jahr mehr Gäste am 1. Dezemberwochenende auf den Schlossberg.
1999 entschied sich Schulleiter und Realschul-Direktor Friedrich Wilhelm Becker dafür, den Schuldienst zu verlassen und unternehmerisch tätig zu werden. Er leitet heute eine regional bekannte Bau- und Investitionsgesellschaft.
Sein Nachfolger wurde zum 1. August 1999 der bisherige Konrektor Kurt Ermert. Er trat sein altes Amt an Herrn Peter Rossbach aus Wallau ab. Wichtig war dabei, dass beide fest in der Umgebung der Schule verwurzelt waren. Nach ihrer zunächst kommissarischen Schulleitung wurden beide am 1.8.2000 auch offiziell in ihre Positionen eingeführt. Die festliche Nachfeier am 21.12.2000 wird vielen Kollegen in Erinnerung bleiben.
Bis dahin ebenfalls einzig in Siegen-Wittgenstein – wurde in der unteren Turnhalle Ende 2000 eine Kletterwand installiert. Nach und nach machten die Sportlehrer ihren „Kletterschein“, so dass gesichertes „freeclimbing“ unter fachlicher Anleitung fester Bestandteil des Sportunterrichts werden konnte. Im gleichen Jahr zog der Fachbereich Musik aus den Räumen der Oberen Turnhalle ins Schloss um. Den Fußweg von der Schule in die neuen Fachräume nutzen viele Schülerinnen und Schüler aus den oberen Klassen seitdem zum „tief Luft holen“.
Zu Beginn des Schuljahres 2000/2001 wandelte sich das so genannte „Rote Haus“ in ein schuleigenes Computerzentrum. Es bietet ausreichend Arbeitsplätze samt Internetzugang für eine ganze Lerngruppe und wurde auch mit Hilfe des Fördervereins der Realschule immer wieder auf den neuesten Stand gebracht.
Der November und Dezember 2002 brachten einschneidende Veränderungen. Das Schloss und der dazu gehörige Landbesitz wechselten den Eigentümer. Zum 1.1.2003 übernahm die Familie Kämmerling das gesamte Anwesen von den bisherigen fürstlichen Besitzern. Das machte den Weg frei für verschiedene technische und bauliche Veränderungen und Investitionen. Nach 50 Jahren ist die Realschule Schloss Wittgenstein eine leistungsfähige und überregional bekannte Bildungseinrichtung. Sie wird ihr Gesicht - behutsam und auf den Wurzeln ihrer Geschichte - weiter verändern.